Samstag, 24. April 2021

#allesverunglimpfen

 

Ich finde es gruselig, dass mittlerweile jegliche öffentliche Äußerung mehrheitlich nicht mehr nach ihrem Inhalt beurteilt wird, sondern von welcher Seite sie Applaus erhält.
 
Sehr gut kann man das an #allesdichtmachen erkennen. In fast allen Medien, die ich gestern dazu konsumierte, gingen die Journalist*innen nicht etwa auf die Inhalte der (vormals 53) Videos ein, sondern erwähnten empört, dass diese "Beifall von Rechts" erhielten. Die Frankfurter Rundschau bezeichnete die Aktion als "platteste Propaganda im Stile rechtsdriftender Querdenker“ und führte zusätzlich in bester BILD-Hetze-Manier noch mal die Namen aller 53 Mitwirkenden auf, damit ihre Messer-wetzenden Foristen diese schon mal auf die stetig wachsende Liste der bösen Seite aufnehmen konnten, auf der auch schon Dieter Nuhr, Sahra Wagenknecht, Boris Palmer und andere "Nazis" stehen. Noch in 10 Jahren wird es dort heißen: "Liefers? Das ist doch der, der bei den Schwurbler-Videos der Coronaleugner mitgemacht hat!?"
 
Dass Liefers allen Ernstes danach sofort klarstellen musste, dass er nicht im Entferntesten zu den Querdenkern gehört und auch nicht die geringste Sympathie für die AfD verspürt, ist schon schlimm genug. Dass ihm das aber (siehe FR-Beitrag von S. Hebel) auch gar nichts nützte, da er sich ja trotzdem als "Brandstifter und in die Nähe von Lügenpresse-Schreiern" gibt, noch schlimmer. Aber auch der gemäßigte SPD-Politiker und WDR-Rundfunkbeirat Garrelt Duin sprang mit Schaum vorm Mund auf den donnernden Shitstorm-Express auf und forderte "die zuständigen Gremien" auf, die "Zusammenarbeit mit Liefers und Tukur schnellstens zu beenden".
 
Zwar löschte er seinen Tweet danach wieder, legte aber nach, dass sich Liefers und Co. klar in die Nähe von "Querdenkern und anderen Trollen" begeben hätten. Gleichzeitig beeilten sich zahlreiche andere Schauspieler*innen zu beteuern, dass sie die #allesdichtmachen-Aktion ganz ganz schlimm fänden und sich davon ganz deutlich distanzieren würden. Viele erdreisteten sich sogar, den Videos anzudichten, sie würden sich über die "80.000 an und mit Corona-Verstorbenen lustig machen" oder die "Nöte des Pflegepersonals in Kliniken verharmlosen". Ein Video nach dem anderen wurde daraufhin im Lauf des gestrigen Tages zurückgezogen und eine Entschuldigung nach der anderen wurde veröffentlicht. Ungläubig musste ich zur Kenntnis nehmen, wie Heike Makatsch es "unglaublich leid tat, dass ihr Video in die Hände von rechten Demagogen spielte".
 
Was ich hier stattdessen von gutem Journalismus erwartetet hätte? Differenzierung! Inhaltlich!
Wo sind eigentlich die vielen Nuancen geblieben, die es früher mal zwischen Schwarz und Weiß gab? Zum Beispiel helles Grau, kräftigeres Grau, dunkles Grau? Alles weg. Wäre hauptsächlich die (meiner Meinung nach durchaus berechtigte) Kritik geäußert worden, dass Sarkasmus und Ironie - welche in den Videos fast durchgängig als Stilmittel verwendet wurden - der Sache nicht dienlich seien und zudem oft falsch verstanden werden könnten, wäre das vollkommen in Ordnung gewesen. Aber stattdessen wurde die Kritik fast überall daraus abgeleitet, dass ein paar AfD-Heinis und Maaßen den Videos Applaus spendeten. Im Endeffekt dasselbe, was Sahra Wagenknecht aktuell mal wieder widerfährt, wenn Ausschnitte ihres neuen Buchs zitiert werden. Entweder ist man also Links (bzw. auf der politisch "richtigen" Seite) oder man ist Nazi. Entweder man findet alles toll, was unsere Regierenden an Corona-Maßnahmen verordnen oder man ist Querdenker.
 
Zwei Beiträge fand ich dann aber doch noch, die ich voll und ganz unterschreiben konnte. Interessanterweise von zwei politisch eigentlich sehr gegensätzlichen Twitter-Nutzern, nämlich Argo Nerd und Georg Restle:
 


 

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