Samstag, 2. Oktober 2010

Der Countdown läuft ...

Unsere Firma setzt Lotus Notes als Mail- und Datenbanksystem ein. Im Gegensatz zu Outlook reichen hier zur Anmeldung nicht einfach nur Benutzername und Passwort - man benötigt zusätzlich eine kleine personalisierte Datei namens "Notes-ID". Diese dient sozusagen als Schlüssel, die die Tür zum Postfach aufsperrt.

Diese IDs haben eine begrenzte Lebensdauer - zum Beispiel 5 Jahre. 60 Tage vor Ablauf ihrer Gültigkeit wird der User folgendermaßen informiert: "Achtung, Ihre Lotus-Notes-ID läuft in 60 Tagen ab. Bitte wenden Sie sich an Ihren Administrator, da ansonsten keine Anmeldung mehr möglich ist."

Ein MITDENKENDER Anwender würde sich nun an seinen Help Desk wenden - per Mail oder Telefon. Aber wir reden ja von Herrn P. Der wartet. Und wartet. Und irgendwann sind die 60 Tage rum und er kommt nicht mehr in sein Lotus Notes - ausgerechnet an einem Abend, an dem er ganz dringend wichtige Mails verschicken muss. Unser Help Desk ist von 6-18 Uhr erreichbar, aber Herr P. bemerkt das Ganze erst um 20 Uhr zuhause. Wahrscheinlich flucht er jetzt ganz laut, eventuell zerdeppert er auch ein paar Teller, brüllt seine Kinder an und tritt dem Hund auf den Schwanz - aber das mindert seinen Ärger nicht, als er schließlich am nächsten Tag um Punkt 6 Uhr morgens bei uns anruft:

"Eine Unverschämtheit!" tönt es aus dem Hörer (auch eine Art, "Guten Morgen" zu sagen). "Sie hindern mich daran, meine Arbeit zu tun!". Schnell ist das Problem erkannt, aber die Kollegen von der Notes-Administration sind noch nicht im Haus, die beginnen erst gegen 7 Uhr. Ich kann ihm also nicht sofort helfen und kläre ihn darüber auf. Wie zu erwarten, trägt dies nicht zu seiner Glückseligkeit bei, also choleriert er noch ein bisschen in den Hörer, was mich endgültig wach werden lässt und legt schließlich grußlos auf.

Ich eröffne ein Ticket mit hoher Priorität an die Notes-Administration. Eine Stunde später kommt das Ticket zurück - mit dem Vermerk "erledigt" und einem nicht ganz wertfreien Kommentar des dortigen Kollegen über "Lernresistenz" und etwaige "Intelligenz-Mängel" des Users. Ich greife zum Headset und informiere Herrn P., dass die Gültigkeit seiner Notes-ID jetzt um 5 weitere Jahre verlängert wurde. Komplett verwandelt bedankt er sich überschwänglich, was mich zu einer höflichen Nachfrage veranlasst:

"Haben Sie denn diese Warnmeldung von Lotus Notes tatsächlich 60 Tage lang weg geklickt?"
"Nein!" trompetet es fröhlich aus dem Hörer, "Nur 40. 20 davon war ich im Urlaub!"
"Aber wieso haben Sie denn nicht zwischenzeitlich einfach mal angerufen oder eine Mail an uns gesendet?"
"Wieso? Dafür hatte ich doch 60 Tage lang Zeit? Ich wollte das am letzten Tag machen."
"Und?"
"Da war ich beruflich unterwegs."

Ich bitte ihn höflich darum, das nächste Mal bitte nicht wieder bis zum Ende des Countdowns zu warten, was er großzügig verspricht. Ich will mich gerade verabschieden, da kommt der Satz, den alle Help Desk Mitarbeiter weltweit lieben: "Wo ich Sie gerade dran habe ..."
Er bittet um die Reparatur eines Programms, was seit ein paar Tagen Ärger mache. Also schalte ich mich auf seinen Computer, logge mich als Administrator bei ihm ein und führe das Ganze durch. Danach bitte ich ihn, sich mit seinem Usernamen an Windows anzumelden. Dies tut er und als Ergebnis taucht ein Hinweisfenster auf: "Ihr Kennwort läuft in 3 Tagen ab. Möchten Sie es jetzt ändern?" Gespannt warte ich, doch bereits zwei  Sekunden später bewahrheitet sich meine Vermutung: Herr P. klickt auf "Nein", bedankt sich für meine Hilfe und beendet das Gespräch.

Naja, in 4 Tagen werden wir ihn wieder am Hörer haben, ich informiere schon mal meine Kollegen …